KRAMBAMBULI reloaded

 

Elf Goldhunde. Von denen fünf aber eigentlich Ben gehören. Auch das mit dem Gold ist vielleicht ein wenig übertrieben. Kann auch Messing sein. Meinetwegen sind das also elf aus Messing ausgestanzte Hundefiguren. Sie sind aber sehr schön. Sehen aus wie Gold und haben Lunas Halsband ungemein verschönert. Wer Luna ist? Bens Hund. Genaugenommen war es ja nicht wirklich sein Hund. Er ist Ben bloss zugelaufen und für eine Weile bei ihm geblieben. Ich habe selbstredend versucht, Ben zur Vernunft zu bringen. Jag den Hund weg, du kommst in Teufels Küche, vielleicht sind seine Besitzer in unmittelbarer Nähe, halten dich für einen Hundedieb und holen die Polizei, hab ich gesagt, und Ben  die Schwierigkeiten, die auf ihn zukommen könnten, haarklein ausgemalt. Denn im Grunde können weder er noch ich Schwierigkeiten irgendwelcher Art gebrauchen. Meine Eltern sagen, dass Ben den allerschlechtesten Einfluss auf mich hat. Aber darauf gebe ich nichts. Allerdings stimmt, dass Ben zur Gänze auf die Unterstützung seiner Freunde angewiesen ist. Nicht dass es mir finanziell besonders gut ginge. Aber ich wohne, im Gegensatz zu Ben,  bei meinen Eltern, und meine Mutter und meine Oma stecken mir manchmal einen Zehner zu. Jetzt aber nochmals von vorne. Angefangen hat alles ganz harmlos. Ben und ich haben uns in der Fussgängerzone getroffen, wie wir das nahezu jeden Abend tun. Dass es seit neuestem eine Art Fussgängerzonenaufsicht gibt, macht es uns nicht unbedingt leichter. Generell kann man sich, seit es diese ominöse Aufsicht gibt, nirgendwo mehr länger aufhalten. Fröhliche Abende mit Kumpels sind gänzlich unmöglich geworden. Hab dir was mitgebracht, hab ich gesagt, und Ben Schinken und etwas Wurst aus dem Kühlschrank meiner Eltern zugesteckt. Der Kühlschrank meiner Eltern ist stets voll, sie merken nicht mal, wenn was fehlt. Und wenn sies merken, denken sie, ich hätte es gegessen. Ben hat sich artig bedankt, im selben Moment aber einen herrenlosen Hund vorbeilaufen sehen, und ein Blatt Schinken aus der Packung genommen. Er hat den Schinken lockend in die Höhe gehalten und tatsächlich hat der Hund sogleich Witterung aufgenommen. Lass das, Ben, hab ich gesagt, was willst du denn mit dem Hund. Natürlich weiss ich,  dass Ben sich nichts sehnlicher wünscht als einen Hund. Aber Ben könnte nicht einmal das Futter bezahlen. Geschweige denn die Tierarztrechnungen. Und dass man mit Hunden andauernd zum Tierarzt muss, weiss ich vom Labrador meiner Oma. Ich hätte ja selber gern einen Hund. Aber auch bei mir sind die Umstände nicht wirklich günstig. Ich lebe noch im Haus meiner Eltern, meine Oma lebt auch da, und mein Hund würde mit dem Labrador meiner Oma aneinandergeraten, da bin ich mir ziemlich sicher. Ben hat den Schinken noch ein wenig höher gehalten, und tatsächlich hat sich der Hund langsam genähert. Ich habe mich wieder und wieder beunruhigt nach allen Seiten umgesehen, weil ich den Hundebesitzer in unmittelbarer Nähe vermutet habe. Lass den Hund in Ruhe, hab ich gesagt, aber Ben hat nicht auf mich gehört. Zu guter Letzt hat der Hund gierig nach dem Schinken geschnappt und ihn sogleich verschlungen. Dann hat er seine Augen auf den übrigen  Schinken geheftet und Ben erwartungsvoll angeschaut. Selbstredend hat Ben nicht widerstehen können. In der Folge hat er den gesamten Schinken an den Hund verfüttert und ich habe über seinen Leichtsinn den Kopf geschüttelt. Du hast jetzt nichts mehr zu essen, hab ich gesagt, frühestens übermorgen kann ich wieder was aus dem Kühlschrank meiner Eltern nehmen, was isst du bis dahin? Ben kommt normalerweise mit einer Packung Schinken und Wurst, und dem alten Brot, dass sie ihm gnadenhalber in der Bäckerei immer geben, zwei Tage ganz gut über die Runden. Steht ihm der Sinn nach einem warmen Essen, geht er zur Essensausgabe, die von der Caritas unterhalten wird. Dort gibt es einmal am Tag für alle, die sich rechtzeitig einfinden, eine warme Mahlzeit. So kommt Ben ganz gut über die Runden. Du bist ein Braver, ein Guter, ein Schöner, hat Ben gesagt, seine Stimme ein wenig gesenkt, und den Hund damit vertrauensselig gestimmt. Er hat ihm über den Kopf gestreichelt und tatsächlich ist er mit seinem langen, rötlichbraunen, gelockten Fell und den dunklen Augen der allerschönste gewesen. Die Fusssgängerzonenaufsicht wird gleich kommen, hab ich gesagt und wachsam den Kopf nach allen Richtungen gedreht, sie werden fragen, ob der Hund uns gehört. Dann sagen wir ja, hat Ben gesagt, und dem Hund ein ums andere Mal über den Kopf gestreichelt. Das ist der Hund reicher Leute, hab ich gesagt, schau dir das Halsband an.  Tatsächlich ist das Halsband aus massivem Leder gewesen, und hat rundum kleine goldfarbene Hunde aufgeklebt gehabt. Nobel, hat Ben gesagt, und das Halsband genauer in Augenschein genommen. Wenn wir den Hund an einen geheimen Ort bringen, könnten wir seine Besitzer erpressen, hat Ben gesagt. Dann kriegen wir Lösegeld, Lösegeld für einen Hund, hat er gesagt, und das Halsband versonnen betrachtet. Ich habe Ben aufgefordert, sich das aus dem Kopf zu schlagen. Lösegeld für einen Hund, mag sein, hab ich gesagt, hat aber nicht allzu gut geendet, zumindest nicht bei Highsmith., du erinnerst dich sicher. Aber Ben ist nicht mehr zu bremsen gewesen. Wir verstecken den Hund an einem geheimen Ort mitten im Wald, hat er gesagt, ich bleibe immer bei ihm, damit er Gesellschaft hat und du versorgst uns mit Essen. Du führst auch die Verhandlungen mit den Besitzern, hat er hinzugefügt, und damit sie wissen, dass es uns ernst ist, schneiden wir die Goldhunde vom Halsband und schicken ihnen einen nach dem anderen zu. Das ist nun tatsächlich ein bestechender Gedanke gewesen.  Ben und ich haben uns haben in der Folge alles aufs genaueste ausgemalt, denn auch ich könnte ganz gut ein wenig Bargeld gebrauchen, und für einen Hund wie diesen wüsste ich ein Dutzend geeigneter Verstecke. Direkt neben dem Haus meiner Eltern beginnt nämlich der Stadtwald. Und da wo der Stadtwald allmählich in den Auwald übergeht, ist das reinste Niemandsland, in dem sich keiner zurechtfindet. Ausser mir. Zu guter Letzt habe ich mir aber gedacht, dass das mit der Entführung und Erpressung vielleicht doch keine so gute Idee ist, und energisch den Kopf geschüttelt. Wir lassen da lieber die Finger davon, hab ich zu Ben gesagt, sieh zu, dass der Hund wieder weggeht. Aber davon hat Ben nichts hören wollen. Erpressung oder nicht, den Hund behalte ich auf alle Fälle, hat er gesagt. Er hat am Halsband herumgefingert, vielleicht steht da irgendwo der Name des Besitzers drauf, hat er gesagt, kann nichts schaden, ihn zu kennen. Wir bringen ihm den Hund zurück und kriegen Finderlohn, hab ich gesagt, zurückbringen auf keinen Fall, hat Ben aber gesagt, und dem Hund das Halsband abgenommen. So ein schönes, mit Goldhunden verziertes Halsband, hat Ben gesagt und es mir hingehalten, hast du sowas schon einmal gesehen? Weisst du, was wir machen, hab ich gesagt, wir trennen die Goldhunde herunter und verkaufen sie am Flohmarkt. Den Hund selber können wir ja ins Tierheim bringen, hab ich hinzugefügt, an Bens düsterer Miene aber gleich gesehen, dass auch dieser Vorschlag auf taube Ohren stösst. Nur über meine Leiche, hat er auch sogleich gesagt, den Hund um seinen schlanken Hals gefasst und an sich gedrückt. Ich habe das Halsband mit den Goldhunden darauf nachdenklich betrachtet. Alles verschiedene Hunde, hab ich gesagt, ein Pudel, ein Dackel, ein Schäfer. Muss ein begabter Hundeformenausstanzer gewesen sein, hat Ben gesagt, allerdings sind da Hunde dabei, die wir nicht kennen. Was das wohl für einer ist, hat er gesagt, und mit dem Finger auf  eine eher kleine, längliche Hundefigur getippt. Vielleicht ein Foxterrier, hab ich zögernd gesagt, keinesfalls, hat er gesagt, hundertprozentig ein Terrier, hab ich wiederum gesagt, und um ein Haar hätten wir uns ernsthaft gestritten. Wir fragen wen, hat Ben gesagt, ist aufgesprungen und hat das Halsband einer älteren Dame hingehalten.  Erkennen Sie den Hund, hat er ganz höflich gefragt, aber die Dame hat den Kopf weggedreht und einen Bogen um Ben gemacht. Das Halsband hat sie mit keinem einzigen Blick gestreift, sie hat ihre Schritte beschleunigt und ist eilends die Strasse hinuntergegangen. Was hat sie, hat Ben ratlos gefragt, wieso gibt sie mir keine Antwort? Du hast sie erschreckt, hab ich gesagt, du musst deine Kapuze abnehmen, oder sie zumindest nicht so weit ins Gesicht ziehen, wenn du jemanden anredest. Wir sollten nach Möglichkeit kein Aufsehen erregen, hab ich gesagt, nicht, solange wir den Hund bei uns haben. Ben hat die Achseln gezuckt, und dann die Frage aufgeworfen, wie wir an Hundefutter für seinen Hund kommen könnten. Hat doch sicher Hunger, hat er gesagt, und über den glatten Hundekopf gestreichelt. Da haben wirs schon, hab ich gesagt, du kannst den Hund nicht behalten, weil du kein Futter für ihn kaufen kannst. Ich kann dir auch nicht immer was leihen, hab ich ungeschickterweise hinzugefügt, jetzt aber doch, hat Ben gesagt und ich habe seufzend den Zehner aus der Hosentasche gezogen, den mir meine Oma heute mittag zugesteckt hat. Damit kommst du aber nicht weit, hab ich gesagt, der Hund braucht jeden Tag Futter, und Hundefutter ist teuer, sagt zumindest meine Oma. Ich kanns auch klauen, hat Ben aber bloss gesagt und den Hund näher zu sich gezogen. Als dann am Ende der Fussgängerzone die Fussgängerzonenaufsicht in Begleitung der älteren Dame von vorhin aufgetaucht ist, habe ich gleich gewusst, dass Gefahr im Verzug ist. Nichts wie weg, hat auch Ben gesagt und dem Hund das Halsband wieder umgelegt. Dann sind wir so schnell wie möglich, aber ohne zu laufen, in die entgegengesetzte Richtung gegangen. Sooft ich mich umgesehen habe, ist uns die Fussgängerzonenaufsicht samt der Alten aber auf den Fersen gewesen. Streif die Kapuze ab, hab ich zu Ben gesagt, ich selbst habe im Gehen meine auffallende Jacke ausgezogen, und meine Haare mit einem Gummiband zusammengefasst. Dann verlieren sie uns eher aus den Augen, hab ich gesagt, sind doch ohnehin so viele Leute unterwegs. Der Hund ist folgsam neben Ben hergetrottet, da schau nur, wie brav er sich von mir führen lässt, hat Ben gesagt, er hat mich schon jetzt als seinen neuen Herrn akzeptiert. So schnell geht das nicht, denk an Krambambuli, hab ich gesagt, aber Ben hat mir nicht zugehört. Ich habe mich immer wieder umgesehen, die Aufsicht und die Alte aber nirgendwo mehr entdecken können und erleichtert aufgeatmet. Dort drüben ist ein Supermarkt, hat Ben gesagt, lass uns dort reingehen. Ich bin einverstanden gewesen, und hab mir gedacht, dass, wenn wir beide in den Supermarkt gehen, und den Hund einfach vor dem Geschäft lassen, er dann wieder wegläuft, und sich das Problem so ganz von selber löst. Als Ben mit dem Hund ins Geschäft gehen hat wollen, habe ich ihm den durchgestrichenen Hund an der Supermarkttür gezeigt. Wir müssen ihn hier draussen lassen, hab ich gesagt, Hunde sind im Geschäft nicht erlaubt. Wir können ihn doch nicht einmal anleinen, hat Ben gesagt, und die Hände gerungen. Wir lassen ihn da stehen  und gehen rein, hab ich gesagt, er wartet bestimmt. Ben hat mir einen raschen Seitenblick zugeworfen, es mag manchmal so aussehen, als ob Ben leicht übers Ohr zu hauen wäre, aber dem ist nicht so. Hol du das Futter, wir müssen ja nicht beide da reingehen, hat er gesagt, und ich und der Hund bleiben hier draussen. Dann hat er mir meinen Zehner wieder gegeben, und sich zu dem Hund auf den Boden gesetzt. Der Supermarkt ist über die Maßen gross gewesen, ich habe das Regal mit dem Tierfutter eine ganze Weile nicht finden können, und dann hat mich das übermässig grosse Angebot an Hundefutterdosen verwirrt. Ich habe mich lange nicht entscheiden können, was und vor allem wieviel füttert man solch einem doch eher grossen Hund, habe ich mich gefragt, und einmal die eine, dann wieder eine andere Dose in die Hand genommen. An der Kasse habe ich mich wie immer in die Schlage eingereiht, die am langsamsten vorangekommen ist, und als ich endlich wieder draussen war, sind Ben und der Hund spurlos verschwunden gewesen. Ich habe mich nach allen Seiten umgeschaut, und mir gleich gedacht, dass Ben wohl doch vor der Fussgängerzonenaufsicht flüchten hat müssen. Ich habe versucht, Ben am Handy zu erreichen, aber er hat sich nicht gemeldet. Also bin ich nach Hause gegangen, und habe die Hundefutterdosen unter meinen Winterpullovern versteckt. Keinesfalls soll unsere Putzfrau sie finden und mich bei meiner Oma verpetzen, hab ich mir gedacht. Ich habe eigentlich gar nicht mehr damit gerechnet, dass Ben sich nochmals meldet. Als er dann doch noch angerufen hat, war ich anfangs gar nicht gut zu sprechen auf ihn und habe ihn das auch merken lassen. Hast du das Futter, hat Ben aber bloss gesagt, ich habe weglaufen müssen, die Fussgängerzonenaufsicht war uns ja doch auf den Fersen, die Alte hätte sie beinahe auf  mich gehetzt. Wo ist der Hund, hab ich gefragt, der ist bei mir, hat Ben gesagt. Hast du das Futter, hat er nochmals gefragt, er ist sehr hungrig, und muss unbedingt zu fressen kriegen. Ich habe, noch während ich mit Ben telefoniert habe, die Hundefutterdosen wieder unter meinen Pullovern hervorgekramt. Wir sind in den Flussauen, hat Ben gesagt, an unserem Badeplatz, gleich links bei den Pappeln, kannst du nicht mit deinem Auto herkommen? Ungern, hab ich gesagt, währenddessen aber schon nach den Autoschlüsseln gesucht. Das Auto gehrt nämlich meinem Vater, und jeder noch so kleine Kratzer und jede Schmutzspur führt zu endlosen Diskussionen. Weil meine Eltern aber gerade ihre alljährliche Kreuzfahrt machen, steht das Auto unbenutzt in der Garage, und ich kann damit jederzeit fahren. Na schön, ich komme, hab ich zu Ben gesagt, ich bin gleich bei euch, geh nicht weg. Dann aber hat die Autofahrt doch länger gedauert als üblich. Ich bin in den abendlichen Berufsverkehr geraten, und als ich die Flussauen endlich erreicht gehabt habe, hat es bereits gedämmert. Ich habe unseren Badeplatz angesteuert und den Motor abgestellt. Weil es bereits gedämmert hat, habe ich das Licht brennen lassen, damit Ben mich besser sehen kann. Weil er sich aber nirgendwo gezeigt hat, habe ich einmal auf die Hupe gedrückt, und sogleich ist, etwas weiter entfernt, ein Bellen zu hören gewesen. Ich bin in diese Richtung vorangegangen, und habe nach kurzer Zeit Ben und den Hund am Flussufer stehen sehen. Zuallererst ist mir aufgefallen, wieviel Wasser der Fluss in diesen Tagen führt. Die Wassermassen sind trübe gewesen, und hin und wieder sind Äste und einmal sogar ein entwurzelter Baumstamm vorbei geschwommen. Ben hat Anstalten gemacht, für den Hund einen Stock ins Wasser zu werfen, und ich habe ihm zugerufen, dass er den Blödsinn lassen soll. Aber das Brausen des Wasser hat meine Stimme übertönt. Als Ben zufällig in meine Richtung geschaut hat, habe ich ihm mit Gesten klargemacht, dass er das mit dem Stock lassen soll, und als ich endlich in Hörweite war, hab ich ihn gefragt, ob er von allen guten Geistern verlassen ist. Du kannst doch nicht den Stock ins Wasser werfen, hab ich gesagt, siehst du nicht, wie stark die Strömung ist? Sobald der Hund ins Wasser geht, erfasst sie ihn und trägt ihn fort, hab ich gesagt, und  über Bens Dummheit nur den Kopf schütteln können. Ben  hat eingewendet, dass alle  Hunde schwimmen können. Aber siehst du nicht, wieviel Wasser der Fluss führt, hab ich gefragt, das ist eiskaltes Schmelzwasser, vom Schnee, der jetzt in der Bergen schmilzt, das trägt den Hund fort, dagegen kann er nicht anschwimmen. Ja, ja, hat Ben gesagt und sich verlegen am Ohr gekratzt, hab schon begriffen. Wo ist das Futter, hat er gefragt, geben wir ihm was, er hat, glaube ich, riesigen  Hunger. Ich habe Ben die Dosen mit dem Hundefutter ausgehändigt, und der Hund hat, als er die Dosen wahrgenommen hat, sofort gewusst, dass sie nur für ihn sein können. Er hat sich Freude gar nicht zu fassen gewusst, ist an Ben emporgehüpft und die goldfarbenen Hunde an seinem Halsband haben in der untergehenden Sonne aufgeleuchtet. Ich habe ihn handzahm gemacht, hat Ben stolz gesagt, und versucht, eine der Dosen zu öffnen. Handzahm, ich weiss nicht, hab ich aber gesagt und skeptisch den Kopf geschüttelt. Das ist nicht so einfach mit Hunden. Lies mal bei Marie Ebner-Eschenbach  nach, hab ich gesagt, aber weil es mit Bens Allgemeinbildung nicht zum besten bestellt ist, hat er bloss die Achseln gezuckt. Vergiss es, hab ich gesagt, und erneut vorgeschlagen, dass wir herausfinden, wem der Hund gehört, und dann Finderlohn  kassieren. Nur über meine Leiche, hat Ben aber gesagt, dem Hund wieder und wieder über den Kopf gestreichelt und ihm von der herrlichen Mahlzeit erzählt, die ihm bevorsteht. Er hat den Inhalt der Dose auf einen flachen Stein geleert, und der Hund hat sogleich zu fressen begonnen. Ben und ich haben ihm zufrieden zugesehen, da schau, wies ihm schmeckt, hat Ben gesagt. Tatsächlich hat der Hund alles gierig verschlungen und zu guter Letzt sogar den Stein abgeleckt. Es ist ein Wunder, dass er überhaupt frisst, hab ich gesagt, das ist schon mal ein gutes Zeichen, und spricht dafür, dass du ihn tatsächlich handzahm gemacht hast. Treue Hunde hungern sich in Erinnerung an ihren früheren Herrn manchmal zu Tode, hab ich gesagt, so sicher war gar nicht, dass sich der Hund von uns füttern lässt. Krambambuli, hab ich gesagt, und nachdenklich auf den Hund geschaut, kennst du nicht die Geschichte von Krambambuli? Ben hat mich unsicher von der Seite angesehen, nein, hat er gesagt, Krambambuli, hab ich gesagt, die Hundegeschichte von Marie Ebner-Eschenbach, du solltest ein wenig mehr lesen. Ben hat die Augen verdreht und ist ein paar Schritte zur Seite gegangen. Hör bloss auf damit, hat er gesagt, du weisst doch, dass ich nichts lese. Der Hund ist ihm gefolgt, und hat sich ganz dicht neben ihn gelegt. Krambambuli reloaded, hab ich gesagt, und Ben und den Hund skeptisch betrachtet. Dann habe ich ihn erneut aufgefordert, sich das mit dem Hund nochmals zu überlegen. Da gibts nichts zu überlegen, hat Ben aber gesagt, und dem Hund ein ums andere Mal über den Kopf gestreichelt. Dann nehmen wir ihm zumindest das Halsband ab, hab ich gesagt, und Ben hat es dem Hund über den Kopf gestreift. Ich habs ganz locker gemacht, hat er gesagt, damit es ihn nicht würgt. Lass es mich genauer ansehen, hab ich gesagt und die Hand danach ausgestreckt. Der eingravierte Name und die Telefonnummer an der Innenseite des Halsbandes sind mir sofort ins Auge gefallen.  Da sind Name und Adresse des Besitzers, vielleicht ist er ja auch gechipt, und mittels GPS zu orten, aber du willst ihn ja unbedingt behalten. In der Folge habe ich vorgeschlagen, dass wir die hübschen, goldfarbenen Hunde, mit denen das Halsband verziert ist, herunterschneiden und am Flohmarkt verkaufen. Ben ist einverstanden gewesen, und hat sich gleich mit seinem Taschenmesser an dem Halsband zu schaffen gemacht. Der Hund und ich haben währenddessen auf den lehmfarbenen, schnell dahinfliessenden Strom geschaut. Ein kalter Hauch ist von dem Wasser ausgegangen, und einmal ist der Hund aufgestanden und hat sich dem Fluss nähern wollen, was ich aber nicht zugelassen habe. Ich habe ihn an seinem gelockten Fell gepackt und zurückgehalten. Bleib da, hab ich gesagt, das Wasser trägt dich im Handumdrehen davon und wir sehen dich nie mehr wieder. Ben hat nach einer Weile verkündet, dass er jetzt fertig ist, und tatsächlich eine ganze Reihe von goldfarbenen Hundefiguren vor sich liegen gehabt. Das Halsband hat er in einem hohen Bogen in den Fluss geworfen, und die reissende Strömung hat es sogleich wegtragen. Lass uns teilen, hat Ben gesagt, du nimmst eine Hälfte, ich die andere. Wieviele sind es, hab ich gefragt, elf, hat Ben gesagt. Elf kann man aber nicht teilen, hab ich gesagt, warum nicht, hat Ben gefragt. Weil immer eines übrig bleiben wird, hab ich gesagt, ich schneids auseinander, hat Ben gesagt und versucht, einen der Goldhunde, eine Schäferhundnachbildung im übrigen, mit seinem Taschenmesser in zwei Hälften zu teilen. Aber weil das Metall das allerhärteste gewesen ist, hat Ben schliesslich einsehen müssen, dass das nicht geht. Nimmst du eben sechs, und ich fünf, hat er gesagt, und mir meinen Anteil zugeschoben. So ist Ben. Sich einen Vorteil zu verschaffen, welchen auch immer, ist ihm fremd. Wenn das nun wirklich Gold ist, hat er versonnen gesagt, und die vor ihm liegenden Figuren betrachtet. Tatsächlich haben sie im untergehenden Sonnenlicht aufs allerschönste geleuchtet, gleich morgen verkaufen wir sie am Flohmarkt, hab ich gesagt. Lass uns zurückfahren, hab ich gesagt. Die Kälte , die vom Fluss herübergeweht ist, hat merklich zugenommen gehabt, sogar den Hund hat es ein wenig gefröstelt. Im Auto habe ich ihn in den Kofferraum gehoben, wenn er haart, merken meine Eltern es zumindest nicht gleich, hab ich mir gedacht. Ben hat darauf bestanden, sich ebenfalls in den Kofferraum zu setzen, sonst ängstigt er sich doch, hat er gesagt und sich ebenfalls in den Kofferraum gezwängt. Während der ganzen Fahrt  habe ich ihn leise mit dem Hund reden hören. Wie willst du ihn nennen, hab ich einmal gefragt, Luna, hat Ben gesagt. Vor Bens Wohnhaus habe ich angehalten und ihm die restlichen Hundefutterdosen ausgehändigt. Wir haben uns für nächsten Tag verabredet,  am besten gleich am Flohmarkt, hab ich gesagt, und möglichst früh, damit wir einen guten Platz kriegen. Ich habe den beiden nachgesehen, der Hund ist Ben willig ins Haus gefolgt, und als Ben Mühe gehabt hat, mit all den Hundefutterdosen in seinen Händen das Tor zu öffnen, habe ich ihm schon zu Hilfe kommen wollen.  Das ist das letzte, was ich von ihm gesehen habe. Die Sache mit dem Hund liegt jetzt schon mehrere Wochen zurück. Ich habe überall Nachschau gehalten, und habe jeden einzelnen von Bens Freunden nach ihm gefragt, aber keiner weiss, wo er geblieben ist. Dass ich Bens fünf Goldhunde neulich am Flohmarkt entdeckt habe, ist so gesehen nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Weisst du, wo Ben ist, hab ich den Verkäufer gefragt, keine Ahnung, hat er gesagt, eines Morgens hat er mir die Goldhunde vorbeigebracht, und ich habe sie ihm abgekauft, weil er dringend Geld gebraucht hat. Nimmst du mir die auch ab, hab ich gefragt, sind alle aus einer Serie. Ich habe meine sechs Goldhunde aus der Hosentasche gezogen, und sie den Verkäufer sehen lassen, der aber sogleich abgewunken hat. Sind die echten Ladenhüter, hat er gesagt, kauf du mir lieber die fünf ab, dann hast du elf, ich mach dir einen guten Preis. Weil er mir tatsächlich einen sensationellen Preis gemacht hat, habe ich nicht nein sagen können. Jetzt habe ich elf Hundefiguren aus goldfarbenem Metall auf meinem Schreibtisch liegen. Ich habe sie der Grösse nach geordnet, und  wundere mich immer wieder von neuem, wie perfekt gearbeitet sie sind. Keine Form gleicht der anderen, sie sind bis in die winzigsten Einzelheiten fein durchgebildet und sicher aus allerbestem Material gefertigt. Vielleicht sind sie ja sogar aus Gold, denn wenn sich die untergehende Sonne in dem Metall spiegelt, leuchten sie so stark, dass es den Augen wehtut. Mittlerweile glaube ich nicht, dass ich Ben jemals wieder sehe. Sein Handy ist tot, er meldet sich nicht, sooft ich es auch versuche. Alle Plätze, an denen er sich aufhalten könnte, habe ich schon mehrmals abgeklappert. Abends warte ich manchmal vor dem Haus, in dem er gewohnt hat. Kommt einer heraus, frage ich ihn, ob er Ben kennt und etwas über ihn weiss. Aber das Mietshaus ist riesengross, und bis jetzt hat mir noch niemand auch nur die geringste Auskunft geben können. Ich denke, ich sollte anfangen, Ben zu vergessen. Um es mir leichter zu machen, werde ich wohl als erstes die Goldhunde weggeben. Wenn jemand sie möchte, soll er am Samstag in die Flussauen kommen. Zum Badeplatz gleich links bei den Pappeln. Ich bin auf jeden Fall da.

(2012)  

 

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© 2013 Elfriede Kern